Loslassen und innehalten

Loslassen – das klingt oft weich, ruhig, vielleicht sogar spirituell. Doch wer schon einmal wirklich losgelassen hat, weiß: Es ist ein kraftvoller, oft schmerzhafter Prozess. Kein passives Geschehen, sondern ein bewusstes inneres Tun – begleitet von Zweifel, Angst und manchmal auch Leere.

Loslassen geschieht nicht zufällig

Wir lassen nicht einfach so los. Es ist keine beiläufige Entscheidung, sondern ein Schritt, der meist reift. Loslassen kann bedeuten:

  • eine Rolle nicht mehr ausfüllen zu wollen,

  • eine Rolle neu zu definieren, weil das Leben sie verändert – wie etwa die Mutterrolle, wenn die Kinder erwachsen werden,

  • ein Bild von uns selbst infrage zu stellen,

  • eine Verbindung zu lockern, die einmal Halt gab,

  • eine Vorstellung vom Leben gehen zu lassen, die uns lange geführt hat.

Nicht alles, was wir loslassen, verschwindet. Manches bleibt – aber in anderer Form. Und genau das kann besonders herausfordernd sein: wenn wir uns in vertrauter Funktion wiederfinden, aber ohne die gewohnte Struktur. Wenn der Alltag, die Verantwortung, das Versorgen wegfallen – und plötzlich mehr Raum entsteht. Raum, der gefüllt werden will – und darf.

Die Angst vor der Lücke

Was bleibt, wenn ich loslasse? Diese Frage kann zutiefst verunsichern. Denn oft war das, was wir loslassen, über Jahre Teil unseres Alltags oder unserer Identität. Vielleicht war es schmerzhaft – und trotzdem vertraut. Oder es war sogar schön – aber nicht mehr stimmig.

Loslassen reißt selten sofort neue Türen auf. Meist entsteht erst eine Lücke. Eine Art Vakuum. Und genau das macht Angst. Denn in dieser Leere ist noch nicht klar, was kommt. Wer wir sind, wenn wir nicht mehr sind, was wir immer waren.

Loslassen und innehalten

Vielleicht liegt gerade in diesem Moment die Chance, innezuhalten und sich zu fragen:
Wer bin ich heute? Welche Bedürfnisse habe ich jetzt? Welche Ängste zeigen sich?

Loslassen bedeutet dann nicht nur, etwas hinter sich zu lassen – sondern sich selbst bewusst zu begegnen. Ohne das alte Bild, ohne die vertraute Struktur. Veränderung ist kein Ausnahmezustand – sie ist Teil des Lebens. Wir verändern uns immerzu.

Wir haben mit 50 nicht dieselben Bedürfnisse, Überzeugungen und Sehnsüchte wie mit 20. Und das ist gut so. Denn genau darin liegt Entwicklung: nicht im Festhalten am Gewohnten, sondern im Zulassen neuer Fragen. Loslassen macht Platz – für die Version von uns selbst, die gerade entstehen will.

Ein paar Fragen für diesen Moment:

  • Woran halte ich fest – und was sind die Gründe dafür?

  • Was befürchte ich, wenn ich es loslasse?

  • Welche Leere vermeide ich?

  • Und: Was könnte durch diese Leere hindurch entstehen?

Loslassen ist keine Schwäche. Es ist eine Entscheidung, nicht stehenzubleiben.
Eine innere Bewegung – für die wir Mut brauchen.
Und manchmal beginnt genau dort etwas unerwartet Schönes.

Weiter
Weiter

Weiblichkeit als innerer Raum